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WIEN, WIEN, NUR DU ALLEIN...

geschrieben von lynx am 24.02.2103

"Da Hawara is’ leiwand - mit eam kannst scho’ a Hockn mochn. Wenn ea net grod wieda an Schmolz frißt oda sei Prodahuan budat..." Na, alles verstanden? So ungefähr spricht man im bunten Wiener Moloch und seit dem September letzten Jahres sind Lupo und ich da mittendrin statt nur dabei und müssen uns irgendwie zurecht finden. Für norddeutsche Piefkes ist das nicht immer einfach und ich rede jetzt nicht nur von der Sprache!

Der Versuch eines kurzen Überblicks: Seitdem die deutschnationalen 'Freiheitlichen' der Republik Österreich nach dem großen Knall von 2023 im folgenden Jahr durch eine gefakte Volksabstimmung die Vereinigung mit dem von Bayern angeführten Süddeutschen Bund erreicht haben, bildet das ehemals eigenständige Wien zusammen mit Nieder- und Oberösterreich das neue Bundesland Altösterreich. Freilich sehen das selbst heute noch nicht alle 'Altösterreicher' positiv und gerade Wien ist ein Hort der Austrianer, wie die Aktivisten zur Wiederherstellung eines unabhängigen Österreichs genannt werden, seien es nun Republikaner, Habsburger, Vaterländische oder sonst ein bizarrer Klub. Ihre Gegner sind die loyalen süddeutschen Piefkinesen, die weitgehend treu zur Münchner Bundesclique stehen. In der Schattenszene der Donaumetropole besteht eine ähnliche Zweiteilung grundsätzlicher Interessen: Hier herrscht ein Konglomerat aus Tschuschen-Mafia und alteingesessenen Wiener Strizzis, das immer und irgendwie mit den Spitzen der verschiedenen Klubs und Konzerne verbandelt ist und sich untereinander kaum ein Auge aushackt. 'Wiener Blut' nennt man das. Und so ist der Plex doch einigermaßen übersichtlich: Das rechts der Donau gelegene Transdanubien gehört hauptsächlich Austrianern und Strizzis, während im übrigen Wien meist Piefkinesen und Tschuschen-Mafia das Sagen haben. Interessanterweise spiegelt sich diese Aufteilung auch in den beiden lokalen Fußballklubs wieder: Die Geldgeber und Fans von FK Austria Wien (der übrigens mit Violett und Weiß fast dieselben Vereinsfarben wie der VfL Osnabrück hat) und SK Rapid Wien sind mit ihren Pendants in Ober- und Unterwelt weitgehend identisch und man sagt, daß sich wenigstens der Polit-Begriff 'Austrianer' aus der gängigen Bezeichnung der Anhänger des entsprechenden Fußballklubs entwickelt hat.

Aber genug von Wiener Geschichte, kommen wir zu der von Lynx und Lupo und Wien: Nachdem unsere Bar, das 'Hell’s Kitchen' im norddeutschen Osnaplex, bekanntlich am 03. Oktober 2101 ein kollateraler Totalschaden des lokalen Unterweltkrieges wurde, haben wir uns mit dem gleichnamigen Barkeeper-Service eine neue Existenz aufgebaut, die aber in der Allianz leider nur auf mäßigen Kunden-Support gestoßen ist. Da kam uns das Angebot eines kleinen Gastronomie-Konsortiums gerade recht, das in Wien einen neuen Luxus-Tanztempel aufziehen wollte und dafür dringend auch externe Kräfte gesucht hat. Also ging es am 01. September 2102 mit ersten norddeutschen Problemen in unser süddeutsches Abenteuer, das sich nun nach sechs Monaten dem planmäßigen Ende zuneigt. Also Zeit für ein kleines Resümee von der schönen blauen Donau...

Wie ein längst verstorbener, aber heute noch immer beliebter Austro-Popstar schon lange vor uns feststellte: 'Ganz Wien' ist so herrlich 'hin' – und zwar von unserem 'heimatlichen' Grätzl im 10. Gemeindebezirk Favoriten bis zu den strahlenden Neon-Unterhaltungspalästen im transdanubischen Donaustadt. Auf die eine oder andere Weise: Während 'im 10ten' das klassische Sprawl-Gesetz des Stärkeren mit dazu gehörender Tschuschen-Mafia herrscht, wird der 22. Bezirk von der typischen Wiener Dekadenz geprägt. Was für uns Wohnen im Kriegsgebiet und Arbeiten voll mit Parties, Sex und Drogen bedeutet. Wir arbeiten übrigens mittlerweile richtig gerne. Unser Arbeitsort in Donaustadt ist der 'Klub 54', dessen Name eine Synthese aus dem legendären 'Studio 54' und einer alten austrianischen Polit-Loge namens 'Club 45' ist. Und das zusammen genommen bildet dann auch in etwa die dortige Atmosphäre und das entsprechende Publikum. Sprich: Im 'Klub 54' verkehrt (ja, auch und insbesondere in der doppeldeutigen Variante) der typische Wiener - und wir durften ihn kennenlernen. Oder mußten es vielmehr: Der Wiener an sich ist erstmal von sich und seinen Ansichten voll überzeugt. Alles, was er nicht versteht, kommt ihm piefkinesisch vor und kann eigentlich nicht richtig sein. Schließlich ist es ja nicht zu verstehen, zumal dann nicht, wenn es auch noch von so zugereisten Marmeladingern kommt. Der Wiener gibt viel auf seine Stadt und Lebensart - vom Kaffeehaus ('Gehn ma an Kaffee trinken' kann vom tatsächlichen Kaffeetrinken mit Tschik und kurzem Plausch bis hin zu einem mehrstündigen Tratsch über Gott und die Welt so ziemlich alles bedeuten) über den Würstelstand ('A Eitrige mit an Buckel und a 16er-Blech' ist meist der erste Satz, den man aus dem Wienerischen lernt) bis zum Opernball (das alljährliche Treffen der High Society und nur echt mit Wiener Walzer und Wiener Blut) und der verklärten K.u.K.-Zeit (wem 'Sissy' was sagt, der weiß was ich meine). Aus letzterer stammt wohl auch die noch heute gängige Titelverliebtheit bzw. fast schon –geilheit der Wiener: 'Frau Doktor', 'Herr Magister' und 'Frau Ingenieur' mögen für norddeutsche Ohren wie 'Moin, Herr und Frau Oberschlau' klingen, in der Donaumetropole gehören sie aber, zumindest in der Gesellschaft abseits der Straße, zum guten Ton dazu. Und ja, leider auch im 'Klub 54'. Hier wie im Kaffeehaus geht der Wiener dann regelmäßig seiner liebsten Beschäftigung nach: Reden. Dabei ist es völlig wurscht, wie (ob persönlich oder per Mobilkom, das dem Wiener irgendwie am Ohr festgewachsen zu sein scheint) oder worüber geredet wird. Wichtig ist nur, daß geredet wird. Und das am besten viel und lange. Wer jetzt aber trotz der Tatsache, daß 'Is eh wurscht' sowas wie das Lokalmotto Wiens sein könnte, glaubt, der Wiener wäre nur gemütlich, irrt gewaltig: Hat der Wiener erstmal ein Ziel vor Augen, will er es auch erreichen. Und das im Gegensatz zum gesprochenen Wort auch mal ausnahmsweise schnell und individuell. Zum Beispiel im Straßenverkehr. Trotz guter und dank zahlreicher bewaffneter Schwarzkappler auch noch sicherer Öffis liebt man in Wien das Auto, welches möglichst mit hoher Geschwindigkeit und riskant sowie unter Umgehung sämtlicher Regeln durch die verstopften Straßen bewegt wird. In den ebenso verstopften Öffis sieht es aber eigentlich auch nicht viel anders aus. Man muß es sich halt nur ohne Autos und Straßen vorstellen.

Was gibt es noch Positives über Wien zu sagen? Eigentlich eine ganze Menge. Aber das will ja wieder keiner hören. Am wenigsten die Wiener, denn auch die nörgeln am liebsten über sich selbst. Ich will es aber mal so ausdrücken: Das Wiener Lebensgefühl hat trotz aller für Norddeutsche bizarr anmutenden Eigenarten schon was ganz besonderes. Am deutlichsten drückt sich das wohl im Verhältnis zu Tod und Vergänglichkeit aus, was den Wienern ja den Ruf eines gewissen Hangs zum Morbiden eingebracht hat. Und da die Wiener ihre Genies tatsächlich immer erst dann zu schätzen wissen, wenn sie entweder gescheitert oder tot sind, zitiere ich noch mal jenen schon eingangs erwähnten Austropop-Star, dessen folgende Zeilen Lupo und ich wohl auf jeden Fall aus Wien und dem 'Klub 54' mitnehmen werden:

"Let’s decadence at all events,
Im Walzerschritt zum letzten Tritt,
Denn wer den Walzer richtig tritt,
Der ist auch für den Abgang fit."

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